Als Außenseiter zum Klassentreffen?
Wer während der Schulzeit nicht zu den beliebten Cliquen gehörte, hat oft wenig Lust, ein Klassentreffen zu besuchen. Was kann man erleben, wenn man trotzdem hingeht?
Viele, die sich in einer Klasse als Außenseiter empfunden haben, meinen, dass die Mitglieder der In-Clique sich toll gefühlt und viel weniger Probleme gehabt hätten, als sie selbst. Was höchstwahrscheinlich nicht der Fall war. Auf Klassentreffen kann man hören, dass die damals Beliebten auch mit Problemen gekämpft haben. Und zwar mit genau den Problemen, die alle hatten.
Mit welchen?
Lassen Sie mich ein Beispiel von einem Klassentreffens erzählen, das ich selbst besucht habe. Anwesend war auch der einstige Star unserer Klasse. Er war schön, er war klug, alle Mädchen waren verknallt in ihn. Ich übrigens auch. Und die Jungs wollten alle so sein wie er. Jetzt erzählte er auf unserer Feier, dass er in der 8. Klasse, als Verliebtsein das große Thema war, nur deshalb auch mit einem Mädchen angebandelt habe, damit er nicht für schwul gehalten würde. Keine Seele hätte damals je vermutet, dass er solche Ängste hat. Er wirkte so selbstsicher auf uns, so vollkommen.
Selbst er hatte also Angst davor, nicht mehr dazuzugehören...
Während der Pubertät wollen wir cool oder geheimnisvoll sein. Wir verstellen uns oder spielen eine Rolle, um Probleme zu lösen - und handeln uns neue damit ein. Als Erwachsener trauen wir uns endlich, wir selbst zu sein. Manch einer, dem wir auf Klassentreffen begegnen, wird uns daher, verglichen mit damals, überraschend offen und ehrlich vorkommen.
Was wird sich noch verändert haben?
Wir erfahren, dass die Maßstäbe, die damals an jeden angelegt wurden, der zur In-Gruppe gehören wollte - und die wir vielleicht nicht erfüllen konnten - längst zum alten Eisen gehören.
Das hilft in der Gegenwart. Die Vergangenheit ändert das nicht. Oder?
Es gibt immer Leute, die einen doch gemocht haben, auch wenn man das selber vielleicht nicht bemerkt hat. So erzählte eine meiner Mitschülerinnen, dass sie immer gedacht hatte, dass wir uns nicht mit ihr hätten abgeben wollen. Was nicht stimmte. Sie war durchaus beliebt. Unserer Ansicht nach war sie es gewesen, die Abstand hielt. Das hätte sie nie erfahren, wäre sie nicht zum Klassentreffen gekommen.
Wahrscheinlich kommt es aber auch darauf an, wie man der alten Gruppe begegnet...
Die alte Gruppe gibt es nicht mehr. In der Schulzeit ist die Klasse tatsächlich eine Gruppe. Und reagiert als Gruppe. Aber auf einem Klassentreffen begegnen sich Einzelpersonen. Die sich vielleicht noch einmal gruppieren. Aber diese Gruppierung wird offener sein - und man kann sich näher kommen.
Einmal Außenseiter, immer Außenseiter - die Gefahr besteht also nicht?
Nein. Weil die Gruppe nicht mehr besteht.
Noch ein Tipp zum Schluss?
Man sollte keinen Wettbewerb inszenieren und versuchen den anderen zu beweisen, dass man sein Leben gemeistert hat. Es reicht, wenn man neugierig ist und auf die anderen zugeht.